Arbeitstagung 2015

Über Bücher reden. Arbeitstagung des FWF-Projekts „Literarische Anschlusskommunikation“

Donnerstag, 5. März 2015, bis Freitag, 6. März, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt

„Lesevergnügen ist tatsächlich eher egoistisch als sozial“, behauptet Harold Bloom, der in Kunst der Lektüre den Bücher lesenden Menschen in den Blick nimmt, der, so Bloom, „für sich selbst liest und nicht für die Interessen, die angeblich über das Selbst hinausgehen.“ Der produktive Eigennutz, der in der Rezeption von Literatur steckt, bleibt freilich nicht auf den Akt des Lesens im engeren Sinn beschränkt. Der Akt des Lesens ist wesentlich für die Rezeption des Textes, aber er ist nur ein Teil eines umfassenderen Rezeptionsprozesses. Betrachtet man das Bücherlesen aus der Perspektive der Lese- und Mediensozialisation, hat jede Buchlektüre eine Vorgeschichte, die bis in die Kindheit reicht, und ein Nachwort, das zum Gespräch über das Gelesene wird und/oder zum nächsten Buch, zur Verfilmung, zum Theaterstück führt. Die Rezeption eines Buches beginnt schon mit der Lektüre von Buchtipps, Rezensionen, Autoreninterviews, mit Leseempfehlungen, die Freunde oder die Buchhändlerin des Vertrauens geben, mit einem Buchumschlag, der ins Auge sticht, einem Autornamen, der Assoziationen stimuliert. Und er reicht über den Leseakt hinaus bis in die vielfältigen Arten des kommunikativen Austauschs über das gelesene Buch sowie über konkrete Leseerlebnisse und Lektüreerfahrungen insgesamt.

Für das dem Rezeptionsprozess inhärente soziale Moment des kommunikativen Austauschs unter LeserInnen oder mit Luhmann gesprochen, der Anschlusskommunikation, gibt es in der Welt der Digital Natives den Begriff „Social Reading“. Er bezeichnet die vielfältigen Formen der Kommunikation über Bücher, die man liest oder gelesen hat, unter Einsatz der digitalen Social Networks – und erfreut sich größter Beliebtheit. „Social Reading“ hat eine analoge Vorgeschichte (Lesegesellschaften, Arbeiterbildungsvereine, literarische Salons). Bei aller historischen, funktionalen und organisationalen Unterschiedlichkeit verbindet z.B. den Klagenfurter Leseverein von 1845 und GoodReads.com doch eine Gemeinsamkeit: Leser, die über ihre Lektüren miteinander reden, sei es in schriftlicher oder in mündlicher Form. Dieses Gespräch der LeserInnen wollen wir in den Mittelpunkt unserer Arbeitstagung stellen und uns dabei anhand von exemplarischen Zugängen und Fällen folgenden Fragen widmen:

  1. Zu Formen, Organisation und Funktion von literarischer Anschlusskommunikation unter ‚NormalleserInnen‘In welchen medialen und kommunikativen Formen kommunizieren LeserInnen über ihre Lektüren? Welche Organisationsformen werden dafür geschaffen oder genutzt? Welche grundlegenden Funktionen erfüllen Kommunikationsplattformen analoger (z.B. Lesegruppen, Literaturkreise) und digitaler Art (z.B. Leseforen, Diskussionsportale, Literaturblogs)? Welche Regeln werden dafür aufgestellt, welche Vorstellungen und Vorbilder sind wirksam?
  2. Zu den Voraussetzungen und Erwartungen von LeserInnenWelcheR LeserIn, die/der Bücher nicht in berufsbezogenen Kontexten liest, partizipiert an literarischer Anschlusskommunikation? Aus welchen Motiven, mit welchen Erwartungen wird über Bücher, über Literatur gesprochen, sei es in Lesegruppen, auf Onlineportalen oder unter Freunden? Welche außerliterarischen Interessen verfolgen LeserInnen mit der Teilnahme an Lesegruppen? Mit welchen Erwartungen beteiligt man sich an Rezensionsportalen oder Leseforen?
  3. Zu Wertung und Urteilsbildung im Umgang mit BüchernNach welchen Kriterien werden Lesestoffe ausgewählt? Welche Erwartungshaltungen und Ansprüche werden an Lektüren gestellt und wie werden sie im Kommunikationsprozess manifest? Wie sprechen bzw. sprachen sogenannte ‚NormalleserInnen‘ über Leseerlebnis, Lektüreerfahrung und Literaturwissen? Welche Rolle spielen Bildung (Kanon) und Unterhaltung (Vergnügen)? Nach welchen Kriterien werden Urteile gefällt, Bewertungen vorgenommen?
  4. Zu den theoretischen und methodischen Herausforderungen, die sich im Rahmen der oben genannten Fragestellungen ergebenWie lässt sich literarische Anschlusskommunikation im Alltag der ‚NormalleserInnen‘ erforschen? Welche theoretischen Voraussetzungen gilt es zu bedenken, welche methodischen Herausforderungen zu bewältigen? Welche Methoden empirischer Erforschung lassen sich nicht nur auf die Erforschung zeitgenössischer, sondern auch historischer Erlebnis- und Erfahrungswelten anwenden? Welche technischen und/oder rechtlichen Voraussetzungen prägen die empirische Arbeit mit Onlinematerial?

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