Methodologische Herausforderungen in der LeserInnenforschung
Claudia Dürr (Wien)
Der Versuch, als Forschende einen Zugang nicht nur zum Gespräch über Bücher, sondern zum Reden über das Lesen finden zu wollen, legt den Fokus auf den Prozess – sowohl des Lesens als auch des Redens – und benötigt eine handlungstheoretische Ausrichtung, hier allerdings in Abgrenzung von der Empirischen Literaturwissenschaft, die in stärkerem Ausmaß von der Explizierbarkeit aller Faktoren einer Handlung ausgeht: Im Umgang mit Texten ist jedoch nicht notwendigerweise und v.a. nicht ausschließlich bewusstes, explizites Wissen nötig, sondern knowing how. Lesen ist zudem keine sichtbare Handlung, sondern eine für BeobachterInnen nicht bzw. nur indirekt zugängliche Erfahrung. Leseerfahrungen stoßen uns nicht zu, sondern werden gemacht, sind vielschichtig und komplex und verändern sich in einem wechselseitigen Prozess von Lesen, Reflexion und Dialog. Viele Faktoren, die eine ästhetische Erfahrung ausmachen, bleiben im Gegensatz zu einfacher kommunizierbaren Textmerkmalen auch für die Lesenden selbst implizit, d.h. sie sind dem Bewusstsein nicht in vollem Maße zugänglich und/oder nicht (einfach) in Worte zu fassen („tacit knowing“, M. Polanyi). In der Untersuchung von Leseerfahrungen stoßen wir als Forschende also aus mehreren – auch erkenntnistheoretischen – Gründen schnell an die Grenzen des Sagbaren.
Der Vortrag wird versuchen, methodologische Erkenntnisse einer empirischen Studie über die Verbalisierung von Schreibprozessen auf das Lesen zu übertragen und einige Möglichkeiten skizzieren, den Herausforderungen, die im Speziellen die Erforschung impliziter Wissensdimensionen betreffen mit Methoden der qualitativen Sozialforschung – von der Datenerhebung (Gruppendiskussionsverfahren, Interview, …) bis zur Interpretation des Materials – zu begegnen.
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