Projektbeschreibung

Bedeutungen literarischer Texte aushandeln. Kommunikation in Lesegemeinschaften

TeilnehmerInnen von Lesegruppen, die sich physisch (face-to-face) treffen, und Mitglieder von Leseforen, die virtuell (online) kommunizieren, wählen ein Buch aus, lesen es und diskutieren darüber. Ziel des gegenständlichen Projekts ist eine grundlegende Analyse dieser lebendigen literaturbezogenen Kommunikationsformen anhand der Verständigungs-, Interpretations- und Bewertungsprozesse, die dabei wirksam werden. Auf der Mikroebene beschäftigen wir uns mit den Herausforderungen, denen sich individuelle LeserInnen stellen, den Belohnungen, die sie erwarten, und den Inhalten und Strategien der Kommunikation, die sie in Gruppendiskussionen anwenden; auf der Makroebene untersuchen wir den Einfluss der literarischen Tradition auf Lesegruppen und Leseforen, repräsentiert durch den Kanon (z.B. Leselisten, Interpretationen) und den aktuellen literarischen Diskurs in den Medien (Rezensionen, Buchtipps, Interviews).

Die Aufnahme, Aufbereitung und Analyse der dafür benötigten qualitativen Daten erfolgt in zwei Stufen: aufbauend auf den Arbeiten und Ergebnissen zu den Face-to-Face-Lesegruppen entwickeln wir unseren Zugang zu den Online-Leseforen. Die Lesegruppen werden nach folgenden Kriterien ausgewählt:  lokale Zugehörigkeit (Österreich), Verkehrssprache (Deutsch), Schwerpunkt der Lektüre (literarische Texte), Grad der Involvierung im  Buchmarkt (keine ExpertInnen einschlägiger Professionen), Geschlecht (gemischte Gruppen) und Alter (Erwachsene, weites Spektrum an Altersstufen). Bei der Wahl der Online-Foren achten wir auf die Art der Lektüre (sie lesen das gleiche Buch wie eine der Lesegruppen oder eines aus dem gleichen Genre) und auf die Verkehrssprache (sie sollte wie innerhalb der Face-To-Face-Lesegruppen Deutsch sein). Die Daten werden anhand der teilnehmenden Beobachtung von 36 Buchdiskussionen (face-to-face und online) und der standardisierten Befragung der Mitglieder der Lesegruppen und Leseforen erhoben. Ziel ist ein Vergleich dieser zwei populären Formen der Kommunikation über Bücher, wobei wir uns auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede konzentrieren a) zwischen den TeilnehmerInnen der Gruppen bzw. Foren hinsichtlich Motivation, Erwartungen…, und b) zwischen den jeweiligen Diskussionsformen hinsichtlich Struktur, Inhalt und Kontexte (sozial, literarisch).

Obwohl Lesegruppen und -foren auch in Österreich und Deutschland weit verbreitet sind und zunehmend populärer werden, gibt es bislang keine wissenschaftliche Untersuchung darüber. Das Projekt soll diese Lücke schließen und einen Beitrag zur rezipientInnenorientierten Literaturwissenschaft, der Buchwissenschaft und der LeserInnenforschung leisten. Im Fokus des Projekts stehen sowohl erwachsene LeserInnen und ihre literarischen Lektüren an der Schnittstelle von ästhetischen und sozialen Einflüssen und Ansprüchen als auch gegenwärtig populäre Formen des gemeinschaftlichen Lesens als bedeutende Phänomene literarischer Anschlusskommunikation. Ziel des Projekts ist eine klassifizierte Gesamtschau der Inhalte und Formen, mit denen Lesegruppen ihre Wertungen und Bewertungen von Literatur generieren und kommunizieren. Darüber hinaus werden die Ergebnisse des Projekts Antwort geben können auf eine Frage, die in der Literaturszene, innerhalb der Literaturkritik, unter ErziehungsexpertInnen und am Buchmarkt immer wieder gestellt wird: Was ist nötig, um ein lebendiges und inspirierendes literarisches Umfeld aufzubauen und attraktiv zu gestalten, und was wird gebraucht, um LeserInnen nachhaltig für literarische Lektüre zu begeistern?