Literatur als soziale Praktik?!

Raphaela Knipp (Bochum)

Leser/innen versammeln sich zur Lektüre in Face-to-Face-Literaturkreisen, tauschen sich online über literarische Texte aus und/oder vergemeinschaften sich im Rahmen von Literatur- bzw. Leseevents. Literatur(rezeption) ver­lässt damit (zunehmend) den individuellen Raum und wird als soziale Praktik sicht­bar und wirk­sam. Doch wie kann eine rezeptionsästhetisch und textanalytisch orientierte und fokussierte Lite­ra­tur­­­­wissenschaft mit diesem/n Phänomen(en) umgehen, bzw. muss sie dies über­haupt? Betrachtet man den Status quo vor allem der deutschsprachigen Re­­zeptionsforschung, so zeigt sich diese bislang – ungeachtet vereinzelter Ausnahmen – wenig inter­es­siert an den so­ge­nannten ‚Laienleser/innen’, und zugleich in theoretischer wie auch ganz prak­tischer Hinsicht (me­tho­di­scher Zugang) wenig vorbereitet. Leserorientierte Literaturtheorien von Jauß über Iser bis hin zu Eco fassen das Lesen gemeinhin als einen aus sozialen Bezügen heraus­ge­lös­ten, monokausalen Pro­zess zwi­schen Text und einzelnem/r Leser/in. Anhand eigener Forschungen sowie Studien aus dem ang­lo­amerikanischen Raum zum Phänomen des „Shared Reading“, d.h. des gemeinsamen Lesens, wird der Vortrag kritisch fragen, was es für die Literaturwissenschaften bedeutet, Literatur­(rezep­tion) als so­ziale Praktik zu fassen und zu unter­suchen. Lesergemeinschaften bieten einerseits die Chance, Lite­ra­turaneignungsprozesse in ‚natür­lichen Situationen’ zu verfolgen, sie fordern die lite­ra­tur­wis­sen­schaftliche Forschung aber auch aus meh­reren, im Vortrag zu erörternden Gründen heraus.  Eine be­sondere Rolle wird dabei der Begriff der Praktiken spielen und die Frage, wie sich dieser zu textzentrierten Ansätzen verhält.

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