Lesegemeinschaften als Orte des Wissens
Claudia Dürr (Wien)
Der Beitrag entwirft Lesegruppen auf Basis empirischer Daten (teilnehmende Beobachtung von drei Lesegruppen im Rahmen des FWF-Projekts Bedeutungen literarischer Texte aushandeln) als Praxisgemeinschaften (E. Wenger), deren Teilnehmer die Leidenschaft für Literatur verbindet und die in den größeren Zusammenhang des literarischen Feldes mit seinen geteilten Werten und Konventionen eingebettet sind, darüber hinaus aber eigene und unterschiedliche Praktiken entwickeln, um das Sprechen über Lektüren als sinnstiftend zu erfahren. Lesegemeinschaften sind Orte des Wissens nicht nur, weil Teilnehmer durch die regelmäßige Lektüre ihre jeweilige Fallbibliothek erweitern, ihre Wahrnehmung von Literatur verfeinern, ihre Fähigkeit, über Literatur zu sprechen schulen und im Austausch von Erfahrungen und Wissen vielfältige Perspektiven auf Literatur erzeugen, sondern weil die Praxisgemeinschaft eine Umgebung schafft, in der neues Wissen emergieren, im Gespräch Erkenntnisse „ein-fallen“ können, die in der individuellen Lektüre verborgen blieben. Lernen bedeutet in diesem Zusammenhang nicht nur die Aquirierung von Wissen oder den Erwerb einer überprüfbaren Kompetenz im Sinne des vorher/nachher, sondern einen sozialen Prozess, der Auswirkungen auf die Identität hat. Dies gilt für alle Praxisgemeinschaften, Lesegruppen begünstigen diesen Prozess jedoch aufgrund ihres Gegenstandes: Literatur als polyvalentes Deutungsangebot. Mittels konkreter Beispiele wird das Zusammenspiel verschiedener Wissensformen (theoretisches Wissen, knowing how, …) in ausgewählten Gruppendiskussionen veranschaulicht sowie die Grenzen der Versprachlichung aufgezeigt.
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