Lesen Blogger anders?

Bozena Anna Badura (Duisburg-Essen)

Noch vor nicht so langer Zeit war das Privileg, die Literaturkritik öffentlich zu betreiben, hauptsächlich den überregionalen Feuilletons und einigen wenigen medial präsenten Kritikern vorbehalten. Doch in der neusten Geschichte ist eine fortschreitende Demokratisierung dieser Königsdisziplin zu beobachten, die vorwiegend durch steigende Professionalisierung und Ambitionen der Literaturblogger vorangetrieben wurde. Doch wie jemand mit einem Text umgeht, variiert stark abhängig von seinem individuellen Anspruch an die Literatur, den Interessen oder der Lesesozialisation. Eine intuitive Qualitätszuschreibung auf subjektiver Basis (meist am Unterhaltungsfaktor gemessen) abzugeben, fällt selten schwer. Problematischer dagegen wird der Versuch, das eigene Urteil so mit Argumenten zu stützen, dass dieses allgemeingültig oder zumindest für andere plausibel erscheint. Eben in der Vorherrschaft einer subjektiv ästhetischen Erfahrung und Wahrnehmung besteht der Hauptvorwurf des professionellen Feuilletons gegenüber den Literatur- und Buchbloggern. Auf der anderen Seite fanden bereits einige Passagen einer Blogger-Rezension ungefragt ihren Weg in die professionelle Literaturkritik (http://literatourismus.net/2016/02/nicht-gerade-untadelig/).

Doch wie steht es um die Qualität der Blogs und der Feuilletons? Wie rezensieren die professionellen Literaturkritiker im Vergleich zu Bloggern? Wie objektiv bewerten sie das Gelesene? Welche Aspekte eines Werkes spielen für sie eine Rolle? Zeichnen sich die Buchbesprechungen der Blogger durch eine gewisse Plot-Versessenheit, die Romane ausschließlich auf die Inhaltsangabe reduziert, paraphrasierende Aussagen, die keine klare Stellung beziehen, aus? Antworten auf diese und weitere Fragen soll eine Analyse ausgewählter Rezensionen hinsichtlich ihnen zugrundeliegenden Beurteilungskriterien liefern. Als Gegenstand der Untersuchung soll die mediale Rezeption eines Romans der jüngsten Gegenwartsliteratur dienen, der sowohl in den Feuilletons als auch bei zahlreichen Bloggern hohe Wellen schlug: Jenny Erpenbeck „Gehen, ging, gegangen“.

 

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